DP-III

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Denkpool III: «Wilde» Archive

18.08.2018 PROGR, Bern

Gäste: Patrick de Rham (Les Urbaines), Michael Hiltbrunner (Zürcher Hochschule der Künste), Sibylle Omlin (BONE Performance Art Festival Bern), Joëlle Valterio (PPP PROGR Performance Plattform)

Teilnehmende: 36 Personen

Der dritte Denkpool stellte «wilde», selbstorganisierte sowie Künstler*innen-Archive ins Zentrum, deren Querdenken Ordnungsstrukturen herausbilden, die Alternativen zu hegemonialen Archivpraktiken aufzeigen und den Archivbegriff erweitern.

Ausgangsfragen

  • Welche Geschichten erzählen ausserinstitutionelle oder «wilde» Archive von Performancekunst? Welches Potential liegt in ihnen im Vergleich zu den Narrativen institutioneller Archive?
  • Welche Strategien können erdacht werden, um «wilde» Archive bzw. Teile davon langfristig (aufzu)bewahren? Welche Aktivitäten müssen hierzu angegangen werden?
  • Welche Ordnungsstrukturen sind in «wilden» Archiven wiederzufinden? Was können institutionelle Archive davon lernen? Aber auch vice versa: Was können sich «wilde» Archive für ihre eigene Bewahrungspraxis von Institutionen aneignen?

Michael Hiltbrunner zeigte anhand seiner Erfahrungen bei der Aufteilung des Archivs von Peter Trachsel (1949-2013) die Herausforderungen der Materialfülle und die Potentiale von Archivfundstücken auf. Hiltbrunner machte deutlich, dass das Archiv als Ort intensiver Wissensakkumulationen nie zufällig und selten en block transferierbar ist. Individuelles Engagement beim Sammeln, Forschen und Weiterschreiben von Performancekunst-Artefakten/Dokumenten in «wilden» Archiven ermöglicht eine Art Gegen-Geschichtsschreibung. Er verwies auf die Gefahr, dass eben dieses Wissen bei der (späteren) Eingliederung z.B. in institutionelle Archive, modifiziert wird.

Sibylle Omlin sprach quantitative, technische und strategische Herausforderungen des BONE-Archivs (1998-2018) an. Der «wilde» Charakter ist in der über 20 Jahre gewachsenen Struktur und dem informellen Wissen begründet, das nach wie vor z.T. exklusiv an die (ehemaligen) BONE-Akteure*innen Valerian Maly, Peter Zumstein, Marina Porobic oder Bernhard Huwiler gebunden ist.

Noch schwerer schien die Zugänglichkeit und das Wissen um Akteur*innen und Archive der Performancekunst in der Westschweiz, was Gegenstand eines offenen moderierten Gesprächs mit Patrick de Rham war. Dabei wurde die Differenz des Verständnisses von Performancekunst in den unterschiedlichen Sprachregionen ebenso thematisiert, wie die Rolle der staatlichen Förderung und (erneut!) das Engagement von Einzelpersonen.

Zuletzt stellte Joëlle Valterio das Programm des bevorstehenden PPP-Festivals vor. Deutlich ging die Künstlerin dabei auf den fliessenden Rollenwechsel von Performance-Künstler*innen und/als Kurator*innen sowie reflexive Kreisläufe als Bestandteil der performativen Praxis (z.B. Rolle von Feedback) ein.

Insgesamt wurde deutlich, dass die Ordnungsstrukturen «wilder» Archive häufig beim Tun entstehen und damit Bestandteil der künstlerischen, forschenden Praxis sind. Sie laden zur Aktualisierung und Weiterschreibung ein, wodurch der ephemere Charakter der Performancekunst zugleich ihre Widerständigkeit fördert. Auch wenn die Archivierung immer fragmentarisch bleibt, fügt die Vielzahl der unterschiedlichen Medien und Ressourcen den dominanten Perspektiven der Geschichtsschreibung eine mitunter dezentrale Wissensfülle entgegen. Diese wirkt insofern aktivierend, als sie das voneinander Lernen und Teilen unterstützt, was an basisdemokratisch oder kollektiv gedachte Initiativen & Plattformen erinnern kann.